Von Jens Fink-Jensen: Jonas og konkylien (1994)

Auf Dänisch    In English

Jona und die Konchylie
   

 
1.

In einem Kornfeld schleicht sich ein kleiner Junge voran. Er heisst Jona. Wenn die Ähren vom Wind bewegt werden, sieht das Feld aus wie ein grosses Meer. Links kann Jona den Ort sehen, wo er selber wohnt. Rechts liegt ein weisser Bauernhof mit einem rotem Dach – wie eine einsame Insel.
   Etwas weiter weg liegt der Wald – In Jonas Fantasie gibt es dort Gebirge und Dschungel, wilde Tiere und Eingeborene.

 
   
   

  
2.

Jona bewegt sich vorsichtig im Korn, damit man den Pfad möglichst nicht sieht. Mitten im Feld legt sich Jona auf eine Decke und kaut an einer Möhre. Die hat er aus der blauen Schachtel, die er hier auf seiner heimlichen Insel versteckt.
   Jeden Tag beobachtet er die Wolken, die vorüberziehen und ständig die Formen wechseln. Manchmal tauchen sie aus dem Nichts auf, um dann wieder im Nichts zu verschwinden. Es muss doch fur die Wolken schwer sein, sich gegenseitig wiederzuerkennen, wenn sie sich dauernd verändern, denkt Jona.

 
   
   

  
3.

Plötzlich tritt Jona auf einen Gegenstand. Er ist hart, eckig und ganz verklebt. Er hat Stachel wie ein Igel, ist aber nicht lebendig. Das ist aber ein eigenartiger Stein.
   Mit einem kleinen Stock kratzt Jona die Erde weg. Der Gegenstand ist grösser als eine Orange und hat eine tiefe, längliche Öffnung.

 
   

 

 

 
4.

Jona rennt aus dem Kornfeld. Er will auf die Wiese, um den merkwürdigen Gegenstand in einer Pfütze zu waschen. Er klemmt sich unter den Stacheldraht, springt über den frischen Kuhmist und tritt in den trockenen, dass es nur so staubt. Die Kühe heben ihre Köpfe mit den krummen Hörnern, um zu sehen, wer sie beim Trinken stört. Jona hat aber keine Angst vor ihnen.
   Er schrubbt und spült den Gegenstand im kühlen Wasser, bis keine Erde mehr herauskommt. Er ist ganz hell und leuchtet von innen wie Silber.

 
   

  

 

  
5.

Jonas Papa sagt, es sei eine Konchylie. Sogar eine ziemlich grosse und eine sehr schöne. Er hält sie ans Ohr und tut geheimnisvoll. "Hab' ich mir's doch gedacht," sagt er.
   "Was hast du dir gedacht?" fragt Jona.

   "Hör mal," sagt sein Papa, und Jona hört ein rauschendes, brausendes Geräusch wie Wind und Wasser. Es hört sich nicht an wie Regen, auch nicht wie das Wasser aus der Dusche oder aus der Gartenschlange, wenn Papa das Auto wäscht. Nein, es ist das Meer! Das Geräusch der Wellen, wenn sie an den Strand spülen. Das hat Jona einmal im Fernsehen gesehen. "Ich kann das Meer hören," sagt er.

   "Ja," sagt sein Papa, "sie hat einmal im Meer gelebt." Und er erzählt, dass es hier einmal ein Meer gegeben hat, und dass die Konchylie hiergeblieben ist, als das Meer sich zurückzog. Aber Jona kann sich nur daran erinnern, dass es hier immer Felder gab. Und "immer" heisst für ihn "sehr lange schon". Wie kommt es dann, dass man immernoch das Geräusch vom Meer hören kann?

 
   

  

 

 
6.

Von nun an hat Jona immer die Konchylie bei sich, auch nachts, wenn er schläft. Ich werde meine Konchylie eines Tages wieder ans Meer bringen, denkt er, denn sie kann sich bestimmt noch daran erinnern. Sie hat ja das Geräusch noch in sich. Eines Abends sagt sein Papa endlich: "Morgen fahren wir ans Meer."
   Jona darf in dieser Nacht draussen schlafen – in der Hängematte. Er kuschelt sich in seinem Schlafsack, die Konchylie am Ohr, und guckt in den Sternenhimmel. Es ist ihm, als höre er Stimmen aus dem All. Vielleicht gibt es auch dort Kinder? Ob sie wohl so aussehen wie er? Oder sind sie vielleicht grün oder blau, Oder verändern sie sich wie die Wolken? Auch egal, denkt Jona. Hauptsache sie mögen spielen.

 
   
   
... so fängt Jona und die Konchylie an. (Bisher nur auf Dänisch herausgegeben).

Von Mads Stage illustriert.

Übersetzt von Jette G. Christiansen (Dänisch: Jonas og konkylien).